Allgemeine Erklärung Multiple Persönlichkeit 

erklärt von Schmetterlingen und Sonnenblumen

Wir möchten an dieser Stelle nicht die offiziellen Kriterien nennen, die erfüllt sein müssen, wenn jemand die Diagnose Multiple Persönlichkeitsstörung  (ICD 10 F44.81)gestellt wird. Wenn an solcher Erklärung Interesse besteht, gibt es inzwischen viele Möglichkeiten die Diagnose Kriterien nachzulesen.

Wir möchten an dieser Stelle etwas Anderes. Denn wir wollen Einblick geben was es für uns, die Schmetterlinge und Sonnenblumen bedeutet Viele zu sein. Wir sind nicht krank, sondern nur multipel. DIS (= Dissoziative Identitätsstörung, MPS Multiple Persönlichkeit(sstörung)) ist keine Krankheit sondern eine kreative Überlebensstrategie. Aufspalten in so Viele mussten wir uns, um überleben zu können. Denn das, was in der Vergangenheit geschehen ist hätte "Eine" alleine nicht tragen- nicht überleben- können. Durch Schwerste, sich immer wiederholende Traumatisierungen von frühster Kindheit an hat die Seele sich ein Weg gesucht um zu überleben. Nur durch Aufspaltung konnten wir überleben. Niemand hat uns geholfen.             Die Vorstellung mag Anfangs befremdlich sein, das viele unterschiedliche Personen in einem Körper wohnen. Es leben Erwachsene, Jugendliche und Kinder in den heute erwachsenen Körpern. Vielleicht ist es leichter sich vorzustellen, man stünde vor einer Schulklasse. In dieser Klasse sind die Kinder alle ungefähr gleich alt, und doch hat jedes Kind eigene Interessen, Gedanken, Erinnerungen, Fähigkeiten, Wünschen und Gefühle. Nun gibt es bei uns im System aber nicht nur eine Klasse, sondern sehr viele Schulklassen. Und all diese unterschiedlichen Kinder vom Säugling bis zum Erwachsenen leben gemeinsam in der Hülle eines Körpers. Die Erwachsenen sind ebenfalls so unterschiedlich wie die Kinder und Jugendlichen. Das bedeutet, dass im Körper der Schmetterlingen und Sonnenblumen all diese unterschiedlichsten Persönlichkeiten "wohnen". Wir alle müssen uns diesen Körper teilen, in dem sich viele gefangen fühlen. Zum Einen weil es nicht der richtige Körper ist (z.B. weil der Körper oder das Geschlecht nicht der Persönlichkeit entspricht) oder jemand sich nicht mit dem Körper nicht identifiziert. Vieles der Vergangenheit liegt wie Bruchstücke vor uns. Denn wenn man sich den Körper mit vielen Anderen teilt, erlebt man nie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Genau das ist der Mechanismus, der das Überleben ermöglicht hat. Heute, wo wir Schmetterlingen und Sonnenblumen wissen dass wir multipel sind lernen wir mit den Wissenslücken umzugehen. Bei uns verhält es sich so, dass wir jede einzelne Handlung strukturieren und planen müssen, damit für andere Menschen so Alltägliches auch bei uns in Ansätzen funktioniert. Es wird geplant, was für Aufgaben zu erledigen sind, wer wann was in welcher Art und Weise tuen möchte und muss. Wo es Zeit für Diesen oder Jenen von uns gibt, aber auch wer welche Aufgabe oder Teile der zu erledigenden Tätigkeiten übernehmen kann. Das alles erfordert sehr viel Organisation. Jede Persönlichkeit hat zu wenig Zeit für sich und um das zu machen was diese gerne möchte. Ein Uno der 24 Stunden für sich selber hat, ist für uns unvorstellbar viel Zeit. Denn so wie wir die Aufgaben aufteilen müssen teilen wir auch die dafür zur Verfügung stehende Zeit.

 

 

"Mag kein Kultmulti mehr sein"

Manchmal finde ich alles doof! Auch die Großis im System. Ich will keine Alpträume mehr vom Leben im Kult haben. Ich will einen eigenen Körper der zum mir passt. Ein Mädchen Kinderkörper. Ich will wie alle anderen Kinder auch in die Schule gehen, ein eigenes Hobby haben und mich mit Freunden zum Eis essen treffen.  Ich weiß das ich dann auch doofe Sachen wie Hausaufgaben machen und zur Toilette gehen machen muss. Aber das wäre für mich okay. Leider wird das für immer ein Traum bleiben."

 

Multiples System

Unsere Erinnerungen, Gefühle und Gedanken sind in den verschiedenen Straßen des Multisystems sehr vielschichtig. Da sind kleine ängstliche Kinder, Kult Kinder wie auch Kids die auf sogenannten Männerpartys waren und so oft missbraucht wurden. Aber auch Kleine, die den Alltag als Aufgabe hatten. Kindergarten oder Schule.

So viele Persönlichkeitsanteile, zersplittert in Viele. Auch gehören die unterschiedlichsten Jugendlichen zu uns, welche sich auch sehr voneinander unterscheiden und zuletzt sind da noch ein paar Erwachsene Persönlichkeiten. Das Alltagsteam managt den Alltag, andere Sorgen innen für Chaos. Wünsche und Bedürfnisse kollidieren immer wieder mal…

Mehrere Jugendliche und Erwachsenen wohnen hier innen die ihre Gefühle versuchen zu verbergen aber es gibt auch diejenigen, die reden wollen. Die ihr Schweigen schon lange gebrochen haben.

 

 

Nur auf den ersten Blick schauen hier alle gleich. Der entscheidende Unterschied findet sich auf den Rollirädern. Dieses Bild zeigt einige Persönlichkeiten der Sonnenblumen. L., eine erwachsene Persönlichkeit von uns die es liebt, die Sonne zu fotografieren und hat sich daher eine Sonne als Motiv augesucht.

 

 

Multiple Persönlichkeit

Eine multiple Persönlichkeit entwickelt nur, wer in frühster Kindheit extremste Traumata erlebt. Manche Experten sprechen von den ersten 3 Lebensjahren, andere wiederum gehen davon aus, dass diese Form des Überlebens bei Kindern bis zu 5 Jahren entstehen kann. Später im Leben ist es nicht mehr möglich, eine DIS zu entwickeln. Auch bei schweren Traumata nicht. Dissoziative Symptome hingegen können Menschen auch später im Leben noch entwickelt, wie beispielsweise Derealisation oder Depersonalisation. Extremste Erfahrungen können so stattfinden, während gleichzeitig ein einigermaßen normales Leben nach außen hin weitergeführt werden kann. Abgespaltene Erinnerungen ermöglichten uns ein Weiterleben, ein Überleben in der schrecklichsten Zeit unseres Lebens. Auch belastende Gedanken und Gefühle konnten zeitweise „weg dissoziiert“ werden. Durch die sich immer und immer wiederholenden Traumata mit verschiedensten Arten von (sexuellem) Missbrauch, Gewalt und Folter etablierte sich die Multiple Persönlichkeit nach den gezielten Spaltungen durch die Täter. Eine Art Reaktionsmuster entstand, die entsprechenden Persönlichkeiten wurden gezielt nach vorne geholt. Konnte diese die Taten nicht mehr ertragen, wechselte jemand anderes nach außen. So wurden die einzelnen Taten zwischen verschiedenen von uns im System aufgeteilt. Nur wenige Traumata sind von einer einzigen Persönlichkeit von uns erlebt worden. Dabei handelt es sich eher um die „nicht so schlimmen“ Taten, außerhalb vom Kult. Auch wenn die Dissoziation uns das Leben gerettet hat, so hat diese doch auch große Nachteile. Viele Puzzelstückchen der Kindheit setzten sich erst nach und nach in mühevoller Arbeit mit professioneller Hilfe zusammen.


Multiples System

Der laute Schrei verhallt, Angst die uns erstarren lässt. Panik? Wo hört Angst auf und wann fängt Panik an? Was wäre die übliche Reaktion eines gesunden Menschen? Kampf wäre die bessere Strategie? Aber was, wenn das nicht möglich ist? Egal weshalb es nicht möglich ist. Erstarren, erstarren und der Gegner im Tierreich würde nicht gefressen werden? Oder doch, gerade deswegen? Sich in sich selbst zurückziehen ist für viele schwer traumatisierte Menschen oft die einzige Option. Womit wir bei dem Grund der multiplen Persönlichkeit angekommen wären. Überleben, irgendwie das grausame und furchtbare, nicht Auszuhaltende ertragen. Aufgespalten in so „Viele“ zum Schutz für die Seele.  Multipel sein, ein Leben mit Vielen in einem Körper. Wir haben überlebt! 

Es ist schwer wen zu finden, der ein multiples System ein Stück seines Weges begleitet. Sei es nun auf professioneller Art und Weise oder als private Kontakte. 

Eine Weile begleitete uns N. auf freundschaftlicher Ebene. Irgendwann erfolgte ihrerseits der totale Kontraktabbruch. Was uns wirklich sehr verletzt hat zumal sie sich nach und nach immer mehr zurückzog. Ob es für N. persönlich besser war, ist schwer einzuschätzen. Fakt ist, auch sie hatte einige eigene Baustellen und ihr Freund fand den intensiven Kontakt zu uns nicht so gut. Schade, auch wenn wir ihm einige Male begegnet sind konnten wir das Misstrauen und die Skepsis nicht abbauen. Allgemein waren psychische Erkrankung für ihn nicht existent was seine Freundin ja auch betrifft. Essstörung. Als wir nicht mehr in der gleichen Stadt gewohnt haben, haben wir uns nochmal getroffen in unserem Urlaub in dieser Stadt. Manchmal telefonierten wir zu dieser Zeit noch. Irgendwann trafen wir uns ein letztes Mal, wobei das für uns nicht klar war, dass dies das letzte Mal sein sollte das wir uns sehen… Ein Mensch der so sehr um unser Vertrauen gekämpft hat und immer wieder deutlich machte, dass sie nicht so sei wie andere Menschen. Das sie zu uns hält und auf unserer Seite steht. Beziehungsabbruch, so wie wir es schon öfter erlebt haben. Sehr schade.

 

Auch auf professioneller Ebene ist es nicht leicht die „richtigen und passenden Menschen“ zu finden. Therapieplätze sind heiß begehrt und viele „Viele Menschen“ warten ewig bis sie die richtige und notwendige Unterstützung bekommen. Wer das sein kann und welche Berufsbezeichnung derjenige nun trägt ist erst mal nicht so entscheidend. Egal on Psychotherapeut oder Psychiater. Diese beiden Berufsgruppen werden wohl am häufigsten involviert sein. Eine Psychotherapie ist für viele „Viele Menschen“ wirklich wichtig. Einander kennenlernen, die Aufgaben im eigenen System verstehen und miteinander leben und kommunizieren lernen. Kein kurzer Prozess. Aber auch andere professionelle Helfer wie Therapeuten in Ergotherapie, alternativen Therapieformen wie beispielweise Kunsttherapie oder konzentrative Bewegungstherapie. Aber auch Sozialpädagogen sind für manchen Betroffenen sehr wichtig um unterschiedlichste Unterstützung im Alltag zu erfahren. Wir hatten in der Stadt wo wir lebten bevor wir in die „Schmetterlings Stadt“ zogen in einer Beratungsstelle Hilfe gefunden. Unsere damalige Ergotherapie Praxis war ein Glückstreffer, insbesondere der Inhaber dieser Praxis war für uns unendlich wichtig. Zunächst waren wir bei einer Therapeutin in seiner Praxis, dort lief es für uns nicht so gut. Nach einigem hin und her übernahm J. uns in der Ergotherapie. In eine Phase, wo jeglicher Körperkontakt mit einem Mann ein riesiges Problem für uns darstellte. Mit viel Zeit lernten wir ihn kennen und er uns. Noch heute sind wir befreundet, schreiben einander übers Handy und treffen und immer wieder, wenn wir in der Region sind. Er war eindeutig der beste männliche Therapeut für uns, bei dem wir längere Zeit waren. Deshalb fiel es uns schwer in der neuen Stadt eine Ergotherapie Praxis zu finden. Dort in der alten Stadt war alles so vertraut, hier war alles neu und fremd. Wir entschlossen uns nach einer Zeit des Ausprobierens hier erst mal keine Ergotherapie zu machen. Dafür trafen wir auf einem Vortrag zufällig auf eine wunderbare Kunsttherapeutin, die dann auch lange zu uns nach Hause zur Therapie kam. Mit ihr entdeckten wir unsere Kreativität ganz neu. Leider gab es keine Finanzierungsmöglichkeit für diese Therapie, eine Stiftung übernahm glücklicherweise einige Stunden. Auch als keine Finanzierung mehr gesichert war, kam die Therapeutin weiter zu uns. Auf Dauer war das aber verständlicherweise nicht möglich. 

Menschen kommen und gehen, im Privatleben sowie im professionellen und beruflichen Kontakt. 


Leider gibt es kein Medikament um das was wir im Kult erleben mussten für immer zu vergessen. Klar es gibt Medikamente um mit Gefühlen wie Panik besser zurecht zu kommen. Aber ein „Vergess Medikament“ gibt es leider nicht. Durch Traumatherapie lernt man natürlich, mit der Vergangenheit besser zurecht zu kommen, aber manchmal wünscht man sich einfach, die Kindheit im Kult für immer zu vergessen. Ich habe jetzt zwei Nächte hintereinander von einer Handlung im Kult geträumt. Zwar nur in Bildern und etwas Chaos war auch dabei. Aber trotzdem ist es auch heute noch schwer, Bilder wo wir als kleines Kind gequält wurden, auszuhalten.    



Wir leben gut als multiples System, durch tolle Unterstützung haben wir im System zueinandergefunden und kommen mittlerweile mit unserem multiple sein sehr gut zurecht. Aber die allerwichtigste Unterstützung neben den ganzen therapeutischen Maßnahmen ist für uns das gemeinsame Leben mit den Schmetterlingen. Keine Therapie und keine Therapiemaßnahme haben uns so weit gebracht wie der Kontakt zueinander. Das gegenseitige Verständnis und der tiefe Einblick in das System des jeweils anderen ist schon etwas sehr besonders für uns. Und sicher ist das etwas, was die Täterstrukturen nicht für möglich halten und schon gar nicht wollen. Und doch ist es jetzt unser Alltag.